Es ist SIS…
Ich komme immer wieder gerne zurück ins Weidenthal. Gar nicht mal speziell wegen der Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, sondern wegen dem ganzen Drumherum. Dieses Jahr sind Felix und ich wieder ein paar Tage früher in die Pfalz aufgebrochen. Der Felsentrail stand auf unserer To-Do-Liste. Also ging’s ab nach Rodalben. Felsen und Trails haben wir erwartet und Felsen und Trails haben wir bekommen. Perfekt. Ein paar Andenken gab es gratis dazu. Nach zwei kürzeren Aufenthalten in stachligen Brombeerbüschen, hat’s mich auf einer Abfahrt dann noch ordentlich zerlegt. Voller Bodenkontakt auf einer großen Felsplatte. Ich danke an dieser Stelle der Fahrradindustrie für die vorbildlichen Entwicklungen in Sachen Helm- und Sicherheitstechnik. Meinen Helm hat es gleich an fünf Stellen zerbrochen. Ich will mir lieber nicht ausmalen, was ohne passiert wäre.
Foto – Andreas Siegel
Zwei Tage später waren wir dann auf dem “Heiligen Rasen” im Erdbeertal angekommen. Nachdem als erstes der Pavillon und die Rücksitzbank vom Auto auf den Campingplatz umgezogen sind, hieß es nun zunächst einmal entspannen und sich seelisch und moralisch auf die kommenden Stunden in der Dunkelheit vorbereiten. Denn die werden Erfahrungsgemäss – Achtung Spoiler – Dunkel, hart und kalt!
20.52 Uhr. Ringa pakia! hallt es über den Sportplatz. Uma tiraha! dröhnt es aus den Boxen. Turi whatia! Adrenalin. Hope whai ake! Gänsehaut. Waewae takahia kia kino! Los geht’s! Ein großer Pulk von Menschen setzt sich in Bewegung. Staub wirbelt durch die Luft. Racetime! Nach ein paar hundert Metern geht’s in den ersten Anstieg. Ich starte auf Platz 30. Und auch, wenn es weder Felix noch ich so richtig ausgesprochen haben, heute Nacht wird schnell gefahren. Heute Nacht wird hart. Im ersten Anstieg mach ich Plätze gut. Ich hab 32×18 gekettet. Langsam fahren war gestern. Felix hat dieselbe Übersetzung. Ich bin schnell. Rechtskurve. Zweiter Anstieg. Die Weidenthaler Wand. 20 Meter vor mir ist das nächste Hinterrad. Kassiert. Jetzt sind’s 30 Meter zum Nächsten. Ich trete schneller. Ich bin dran. Die Beine sind gut. Die Runde ist schnell. Fühlt sich zumindest schnell an. Denn so genau weiss es nur die Zeitnahme. Und eigentlich interessiert’s auch keine Sau. Hier geht’s darum die Nacht zu bezwingen. Hier geht’s darum sich selbst zu quälen. Und das machen wir. Wir haben keinen Tacho. Wir haben kein Pulsmesser. Wir haben einfach Spass, wenn die Lunge brennt und die Oberschenkel schmerzen. Dritter Anstieg – geschafft. Rechtskurve. Ab in den Downhill.
Foto – Robert Serra
Vor drei Jahren hab ich den Downhill noch im Hubschrauber verlassen. Auch deshalb komm ich jedes Jahr wieder. Zwei Monate Krankenhaus. 60 cm Narben. Kleine Andenken an SIS 2010. FU! denk ich mir als ich den ersten Anlieger hinter mir lasse. Kurz anbremsen. Im oberen Teil ist der Boden weich und sandig. Unten wird’s schnell. Nicht in die Rinne, die Spur links halten. 2013 lass ich den Downhill hinter mir und biege wieder auf den Sportplatz ein. Start/Ziel. Transmitter-Übergabe. Felix saust davon. Durchatmen. Relaxen. 30 Minuten Pause. Aber so wirklich will der Puls nichts runter.
Felix ist wieder da. Kimbel ist vor einer Minute durch. Kimbel “Du sollst FITFUCKER nicht mit SINGLESPEEDERN verwechseln”. Kimbel ist wie immer Solo unterwegs. Kimbel ist also mein Hinterrad für Runde 3. Felix überreicht mir den Transmitter. Ich sprinte los. Erster Anstieg. Ich gebe alles. Mein Herz rast. Weiter geht’s. Ich sehe Kimbel. 100 Meter. Zweiter Anstieg. Ich hab ihn. Mittlerweile ist es dunkel. Kurz ein paar Worte. Weiter geht’s. Kimbel fährt sein Tempo. Dieser elende Fitfucker. Nach gut der Hälfte der Strecke geht’s einen flowigen Trail runter. Ich atme kurz durch. Letzter Anstieg. Und zurück zum Ziel. Transmitter-Übergabe. Felix ist motiviert. Ab geht’s.
Am Sportplatz geselle ich mich zu Basti vom Fahrstil-Team. Erstes Feedback. Platz 3. Scheiße. Das wird hart denk ich mir. Einige bekannte Gesichter stellen sich ebenfalls zu uns. Das ist SIS. 30 Minuten am Limit. Zwischendurch Nutella-Zopf und Club Mate. Sport machen die Anderen. Scheiß auf Relaxen und Renntaktik. Gunnar kommt von seiner ersten Runde. Wenn Gunnar kommt, wird’s nie langweilig.
Foto – +VLFBERH+T
Ich mach mich fertig für die nächste Runde. Ich schau mir an, wer mit mir wartet. Alles keine Unbekannten. David aus Frankreich. Die verrückten Holländer. Die haben denselben Spirit. Team Lumen, mit Massageliegen und Helfer_innen im Teamoutfit, wohl eher nicht. Felix kommt an. Er gibt mir den Transmitter. “Mach mal langsamer – Ich bin am Limit” ruft er mir noch zu. Langsamer geht nicht ruf ich zurück. Drei Leute sind wieder vor mir. Als erstes hole ich David ein. Ein paar Worte werden ausgetauscht. Weiter geht’s. Die anderen Beiden waren nicht weit vor mir. Auf dem Wurzel-Trail stehe ich im Stau. Auch das ist SIS hier wird nicht gedrängelt. Hier wird sich angestellt. Willste vorbei, überholste an geeigneten Stellen, aber nicht auf den engen Trails. Es geht hier zum Glück anders zu, als beim 24 Stunden Rennen in Chemnitz. Am Ende des Trails stehen 50% vom Team Lumen. Er kämpft mit seinem Umwerfer. Tja. Bewahrheitet es sich wieder einmal: SIS ist Singlespeed. Im letzten Anstieg geh ich wieder ans Limit. Here we go! Den Letzten kassiert. Downhill. Transmitter-Übergabe. Erster. Yeah! Kurz nach Mitternacht. Mir tut alles weh. Yeah! Yeah! Yeah!
Felix gibt in der nächsten Runde noch mal alles, sagt bei der Transmitter-Übergabe abermals wie scheiße es ihm langsam geht. Ja. Mir tut auch alles weh, aber egal. Weidenthaler Wand. Ich merke, dass ich langsamer bin. Von hinten kloppt einer an mir vorbei. Ich sehe drei Farben in meinem Scheinwerferlicht: Orange, Weiss und Blau. Oranje! Und er überholt mich nicht nur einfach. Er zerstampft mich regelrecht. Spuckt dann Rijkaard-Style noch mal drauf. Hätte ich nicht besser machen können, denk ich mir. Ich versuch dran zu bleiben. Gebe alles. Am Ende des Anstieg sind’s fünf Meter. Ein paar 100 Meter bis zum Flow-Trail. Ich bin an seinem Hinterrad. Vor uns fährt jemand ein wenig entspannter den Trail hinunter. Ich atme durch. Der schmale Pfad spuckt uns auf einer Forstautobahn wieder aus. Ich fühle mich wie ein Boxer in der letzten Runde. K.O. oder Sieg. Nur, das ich noch gut drei Stunden Radfahren muss. Ich greife an. Gehe sofort aus dem Sattel. Für gefühlte 0,5 Sekunden ist mein Rad vor ihm. Dann legt er los. Fünf Meter. Zehn Meter. Zwanzig Meter. Grätschen – Zerstampfen – Raufspuken. Da haben wir’s wieder. Nach 20 Metern nimmt er raus. Das Duell ist für dieses Jahr entschieden. Ich spüre die Endorphine durch meinen Körper rauschen. Die letzten Stunden haben sich genau für diesen einen Augenblick gelohnt. Ich komme im Ziel an. Transmitter-Übergabe. Nutella-Zopf. YEAH! Das war ein Kampf! Die beste Runde ever!
Foto – +VLFBERH+T
Zwei oder drei Runden später. Ich bin müde. Felix kommt von seiner Runde. Er sagt, er ist raus. Er kann den Lenker nicht mehr greifen. Seine Arme schmerzen. Ich protestiere nicht. Auch mir geht’s eher dreckig.
SIS 2013 hört einfach ein, zwei Runden früher auf als gewohnt. Die Lunge hat gebrannt. Die Oberschenkel waren in den Anstiegen kurz vorm krampfen und scheiße – meine Arme tun seit der dritten Runde weh. Die Platzierungen die am Ende eh keine Sau interessieren, wurden ausgefochten. Eine tolle Nacht. Und Kimpel ist sowieso das krassesten Schwein von allen.
Die Sonne geht auf. Wir treffen uns alle beim Frühstück wieder. Wir sehen alle Scheisse aus. Wir hatten mal wieder alle verdammt viel Spass im Erdbeertal. 2014. Dabei.
Wir brauchen mehr Sportler!
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